Dieser Artikel ist Teil 1 einer dreiteiligen Artikel-Serie zum Thema “Stammdaten“.
Die drei Teile der Artikel-Serie sind:
- ERP-Systeme, Stammdaten und neue Herausforderungen Teil 1
- Stammdatenmanagement im ERP-System oder softwareübergreifend? Teil 2
- Stammdatenmanagement & Digitalisierung: Aspekte der praktischen Umsetzung und Softwarewahl Teil 3
Mittlerweile eine Binsenweisheit: Ein ERP-System kann nur so gut sein, wie die Stammdatenqualität die es besitzt. Auch wenn diese Thematik bereits ein Dauerthema ist, droht die schnell fortschreitende Digitalisierung sie vom Regen in die Traufe zu katapultieren. Dabei besteht die Gefahr zwischen die Mühlsteine der Datenflut und der gleichzeitig steigenden Anforderungen an die Datenqualität zu geraten.
Stammdaten: Ein Dauerthema, das in Angriff genommen werden muss
Die zahlreichen Probleme mit Stammdaten und Stammdatenqualität wurden bereits öfter thematisiert. Es geht dabei um Duplikate sowie unvollständige oder veraltete Informationen. Doch sind die Auswirkungen schlechter Stammdaten meistens nicht sofort spürbar, die Folgen viel mehr schleichend. Im Laufe der Zeit haben Mitarbeiter dann immer mehr Rückfragen, die Abstimmungsprozesse werden deutlich länger. Diese schleichende Wirkung lässt das Vertrauen der Belegschaft in die unternehmenseigenen Daten langfristig schwinden. Es geht in die gleiche Richtung wie die oft zitierte Frosch-Metapher, wo der Frosch – im Topf mit sich langsam erhitzenden Wasser sitzend – es nicht mehr rechtzeitig schafft, sich zu retten.
Müssen dann Entscheidungen unter Termindruck getroffen werden – im Betriebsalltag keine Seltenheit – lernen Mitarbeiter, sich selber zu behelfen. Unter Umständen werden dann inkorrekte Stammdaten einfach in Kauf genommen oder Lücken durch mehr oder weniger willkürliche Schätzungen ausgefüllt.
Die Neuen Herausforderungen durch die Digitalisierung
Als ob die allgemeine Stammdaten-Situation nicht schon herausfordernd genug wäre, die fortschreitende Digitalisierung stellt Unternehmen vor noch mehr Herausforderungen. Die Anzahl der Daten wächst schnell weiter an. Gleichzeitig steigen auch die Qualitätsanforderungen an die Daten.
Datenflut durch Variantenvielfalt
Der Trend geht quer durch alle Branchen: Von der Lebensmittelindustrie über die Möbelherstellung bis hin zum Maschinenbau und Automotive – Kunden wünschen sich immer häufiger individuellere Produkte und dazu auch öfter in kleineren Abgabemengen bzw. Größen. Auch im Dienstleistungsbereich werden die Kundenwünsche immer ausdifferenzierter. Der technologische Fortschritt begünstigt diesen Trend, indem er immer mehr Varianten technisch realisierbar und ökonomisch erschwinglich macht. Ein Anzug oder eine Jeans nach Maß: die Produktion kann man heute durch Eingabe der individuellen Größen in ein Online-Shop-Formular anstoßen. Individuelle Teile in Kleinserie können durch Hochladen einer CAD-Zeichnung auf entsprechenden Anbieterwebseiten bestellt werden. Für Stammdaten in ERP-Systemen heißt das vor allem eins: Ihre Anzahl steigt aufgrund neuer Kunden und Produkte massiv an. Gerade moderne Systemarchitekturen, die in der ERP-Cloud betrieben werden benötigen Stammdaten mit exzellenter Qualität.
3D-Druck begünstigt die Datenzunahme
Auch Technologien wie der 3D-Druck sind hier treibend. Damit lassen sich physische Objekte durch Auftragen von Schichten fertigen. Es wird hierbei möglich, Einzelteile und auch kleine Serien – die Rede ist auch oft von Loßgröße 1 – wirtschaftlich herzustellen. Das führt ebenfalls dazu, dass die Anzahl der Produktvarianten stark zunimmt und mit ihnen wachsen auch die (Stamm-)Datenmengen weiter an.
Datenflut durch das Internet of Things (IoT)
Neben der Variantenvielfalt sorgt das Internet of Things (IoT) für eine Datenexplosion. Immer mehr Messparameter können immer feinfühliger und gleichzeitig günstiger von Sensoren aufgenommen werden. Dazu sinken die Kosten für die Datenspeicherung konstant. Das wiederum führt dazu, dass immer mehr Maschinen, Geräte und andere Vorrichtungen mit Sensoren ausgestattet werden und Daten generieren. Dazu gehören etwa Flugzeugtriebwerke, Fahrstuhl-, Bahntüren oder Lebensmittel in Transport- und Lagerbehältern, deren Kühlkette von Sensoren rund um die Uhr überwacht wird.
Außerdem führt die Entwicklung, viele Geräte, Maschinen und andere Komponenten, mit einem Digitalen Zwilling zu versehen – d. h. einer digitale Kopie des physischen Objektes – zu einer weiteren massiven Zunahme der Datenmengen. Auch Stammdaten nehmen zu und bilden immer mehr Verknüpfungen zu anderen Daten.
Die neuen technologischen Möglichkeiten und der Datenanstieg bewirken dann, dass der Bedarf nach weiteren Lösungen – die ihrerseits ebenfalls neue Daten erzeugen – steigt. Dazu gehören etwa Lösungen in den Bereichen des Datenschutzes und der Datensicherheit. Der Überblick über Stamm- und andere Daten wird gleichzeitig immer schwieriger, der Pflegeaufwand und die Fehleranfälligkeit steigen weiter an. Im Produktdatenbereich z. B. kommen neue Produkte, Varianten und Versionen sowie neue Hierarchiestufen bei Stammdaten hinzu.
Digitalisierung und steigende Anforderungen an die Stammdatenqualität
Digitalisierung hebt zugleich die Standards
Ein anderer, gleichzeitig stattfindender Trend ist jedoch, dass die Digitalisierung die Anforderungen an die Datenqualität steigen lässt. Z. B. wird Automatisierung und maschinellem Lernen beim Bewältigen der Datenflut eine große Bedeutung zukommen. Diese Technologien setzen jedoch (Stamm-)Daten in hoher Qualität voraus, die möglichst genau und vollständig sind.
Die Produktlebenszyklen werden immer kürzer – die Datenaktualität aufwendiger
Auch die Produktlebenszyklen werden bedingt durch die Digitalisierung und neue technologische Möglichkeiten immer kürzer; zusätzlich steigen auch Nischenbedarfe. Für Stammdaten bedeutet das wiederum, dass ihre Lebenszeit deutlich kürzer wird und sie viel schneller veralten. Sie müssen deswegen häufiger aktualisiert werden. In dynamischen Branchen ist schon heute ein Trend zu beobachten, dass ein Großteil der Stammdaten nach spätestens 2 Jahren nicht mehr aktuell ist. Das bedeutet, dass es immer aufwendiger wird, Daten in einem brauchbaren Zustand zu halten.
Stammdaten: Anforderungen an die Automatisierung am Beispiel von Machine Learning
Die enormen Datenmengen, die durch die Digitalisierung erzeugt werden, erfordern neue Möglichkeiten, die damit zusammenhängende Probleme zu bewältigen. Es wird immer wichtiger, automatische Prozesse zu nutzen, um die notwendigen oder gewünschten Informationen herauszufiltern. Hier wiederum kommt den Daten und den Stammdaten eine wichtige Rolle zu. Denn die Qualität der automatisierten Lösungen kann nur so gut sein, wie die Datenqualität, die ihnen zugrunde liegt. Ein Beispiel dafür ist das maschinelle Lernen – eine Technologie, die schon heute erfolgreich beim Abgleich von Rechnungen oder der Erkennung von spezifischen Produktbildern eingesetzt wird. Damit das maschinelle Lernen jedoch wie gewünscht funktioniert, müssen die Algorithmen zumeist anhand von historischen Daten angelernt werden. Daraus lassen sich dann brauchbare Muster ableiten. Hierbei ist es wichtig, dass die vorhandenen Daten – etwa für Produkte, Kunden oder Lieferanten – eine entsprechend hohe Qualität aufweisen, um verlässliche Ergebnisse zu liefern.
M2M-Kommunikation erfordert adäquate Stammdatenqualität
Ein anderer Bereich ist die M2M-Kommunikation. Maschinen erlangen dabei die Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren und so Engpässe oder freie Kapazitäten, sich gegenseitig mitzuteilen oder Informationen an zuständiges Personal weiterzuleiten. Fehlt bestimmtes Material, können die fehlenden Teile automatisch bestellt werden. Kündigt eine Maschine freie Kapazitäten für einen bestimmten Zeitraum an und ist sie mit dem passendem Werkzeug bestückt, können infrage kommende Teile zur Fertigung umgeleitet werden. Doch damit die Prozesse reibungslos funktionieren, müssen die entsprechenden Daten – unter ihnen auch Stammdaten – bestmöglich vollständig und korrekt sein.
Aufwendigeres Stammdatenmanagement: internationale und branchenübergreifende Netzwerke
Durch die Internationalisierung und das wirtschaftliche Zusammenwachsen, das durch das Internet begünstigt wird, werden alte Wertschöpfungsketten und Netzwerke reorganisiert. Partner und Zulieferer, die für das eigene Kerngeschäft eine wichtige Rolle spielen, sitzen jetzt immer häufiger am anderen Ende der Welt. Andere Länder, geographische Voraussetzungen, Gesetze, Sprachen, Kulturen – das führt dazu, dass Stammdaten nicht nur zahlenmäßig zunehmen, sondern auch immer mehr länderspezifische Unterschiede aufweisen. Damit steigen die Komplexität und der Aufwand. Beispielsweise erhöhen fremdsprachliche Bezeichnungen den Aufwand, die korrekte Rechtschreibung sicherzustellen.
Cloud Computing und steigende Anforderungen an Stammdaten
Ein weiterer Trend betrifft neue Software-Lösungen mit dem Aufkommen des Cloud Computings. Arbeits-, Produktions- und Geschäftsprozesse müssen wegen steigenden Anforderungen immer höhere Ansprüche erfüllen. Deswegen ist es oft notwendig, On-Premise ERP-Systeme mit Lösungen aus der Public Cloud bzw. aus mehreren Clouds zu kombinieren. Das wiederum erfordert eine Zusammenarbeit und einen reibungslosen Datenaustausch der unterschiedlichen Software. Sind Stamm- und andere Daten unvollständig, fehlerhaft oder doppelt vorhanden, werden die Probleme umso größer. Je integrierter die verschiedenen ERP-Lösungen und die spezifischen Add-ons sind, desto schneller breiten sich Fehler aus. Es kommt zu Verzögerungen, weil Daten erst bereinigt und korrigiert werden müssen oder es werden Entscheidungen aufgrund inkorrekter Daten getroffen, die unter Umständen erst später auffallen – dann jedoch um so kostspieliger sind.
Zusammenfassung und Ausblick
Wie die Diskussion gezeigt hat, nimmt die Stammdatenmenge aufgrund der Digitalisierung und anderer technologischer Entwicklungen zu. Dabei sind das Internet of Things und die Variantenvielfalt treibend. Darüber hinaus wird es für Unternehmen immer wichtiger, hohe Standards in der Datenverarbeitung zu wahren. Denn diese sind wichtig, um die durch die Digitalisierung rasant zunehmende Menge an Stamm- und anderen Daten zu bewältigen. Das gilt insbesondere dann, wenn es um Automatisierung der Arbeits- und Produktionsprozesse geht. Denn nur so können Unternehmen heute und in Zukunft ihre Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten und den Marktanforderungen gerecht werden.
So geht’s weiter Im zweiten Teil dieser Artikel-Serie wird erläutert ob das Thema Stammdatenmanagement Teil eines ERP-Systems darstellt oder dies softwareübergreifend zu lösen ist: Hier klicken um zum zweiten Teil der Stammdaten-Artikelserie zu gelangen